Wer glaubt, die Metaphysik hätte sich aus diesen gottlosen
Zeiten verabschiedet, der muss vor einem Club anstehen. Nicht
vor irgendeinem, sondern vor dem Cookies, jener Berliner Party-Institution,
die zwischen 1994 und 2001 fünfmal die Location wechselte
und doch einmalig blieb.
Erleuchtung, Erleichterung: Comeback-Party des Cookies in Berlin
Erleuchtung, Erleichterung: Comeback-Party des Cookies in Berlin
Gestern feierte man in der Friedrichstraße Neueröffnung,
und wie schon in den Jahren zuvor bewährte sich der Türsteher
als ominöse Schicksalsmacht, deren Walten der niederen Anschauung
verborgen blieb. Und das ist gut so: Wenn Distinktionsmerkmale
wie Geld, Status oder Schönheit ihre Gültigkeit verlieren,
kommt jenes faszinierende Prinzip zum Zuge, das die Tauschlogik
überschreitet: Style.
Auf ihren Style sind die Berliner Szenegänger, vor allem
die aus Mitte, besonders stolz - gestern durfte man erleben, warum.
Lässig und zugleich edel, energisch und dabei distanziert:
Aus diesen Stil- und Gemütslagen wird seit den frühen
Neunzigern das Mitte-Feeling gemixt. In der Friedrichstraße,
wo Cookies sein neues Domizil bezog, soll es sich nun wieder raumgreifend
entfalten.
Das Türhüterszenario ist dabei unverzichtbar: Die Männer
und Frauen am Eingang (es müssen zahllose gewesen sein; ein
Pulk ihre selektiven Kräfte ständig erneuernden Publikumsausspäher)
haben den Musil'schen "Möglichkeitssinn": In ihrem
Blick erst verdichten sich Gebaren und Aussehen des Einzelnen
zum Party-Potential.
Cool, nicht kalt
Wer schließlich drin war, freute sich, dass alles wieder
ist wie früher, auch wenn die Räume des ehemaligen französischen
Kulturinstituts größer und eleganter sind als die Cookies-Stationen
Postfuhramt (1998 bis 1999) oder Saarbrücker Straße
(1999 bis 2001). Draußen die Willkür der Party-Demiurgen
zur Steigerung des Verheißungsgefühls, drinnen weltliches
Laisser-faire. Ach, du auch hier? "Berlin ist so krass klein."
Diese Nonchalance der Abgebrühtheit auf höchstem Erregungsniveau
ist das Resultat jahrelanger Arbeit: Eigentümer Cookies,
30, erkannte schon Anfang der Neunziger, dass leer stehende Gebäude,
marode Treppenhäuser und Bauzäune das perfekte Ambiente
bieten, um Begehrlichkeiten zu kreieren. Das Label des Berliner
Nachtlebens hieß Authentizität, und Cookie galt als
einer seiner prägendsten Designer. Wer protzen oder Promis
begaffen wollte, musste nach München oder Hamburg fahren
- in der Hauptstadt ließ sich Coolness auf Sperrmüllsesseln
nieder.
Zum ästhetischen Unterstatement kam mythologieträchtiges
Kalkül: Lange verheimlichte Cookie seinen bürgerlichen
Namen; in seinem Club herrschte striktes Fotografierverbot - ein
bewährter Trick der Präsenzsteigerung, den von Gott
bis Thomas Pynchon Kulturträger aller Zeiten erfolgreich
angewandt haben.
Endlich im Bilde sein
Jetzt, in der Friedrichstraße, wurde sogar die deutsche
Presseagentur vorgelassen, auch Fotohandys waren überall
im Einsatz. Die Cookies-Folklore braucht keinen Bildersturm mehr,
um sich als It-Instanz zu etablieren. Und überhaupt: Letztlich,
so sagen alle, geht es ums Party machen, um die Musik, ums Tanzen.
Und was verspricht sich der Cookies-Anhänger vom Neuanfang?
"Einen Schuppen, der rockt", sagt Karin Busse, Club-Frau
der ersten Stunde, die noch im sagenhaften 90 Grad arbeitete und
heute die Kiez-Bar Keyser Soze betreibt. "Ein gutes Line-up",
erklärt David Canisius, erster Geiger des Deutschen Kammerorchesters
und selbst Cookies-DJ.
Die Welt als Rille und Vorstellung also, und zwischendurch der
Smalltalk der medienkreativen Selbstausbeuter, die immer im Dienst
sind - auch und gerade hier, wo man Visitenkarten und Handynummern
tauscht wie Bussis. Kein Wunder: Das Publikum kommt in die Jahre,
die Generation 30 plus bestimmt das Bild. Irgendwo zwischen prekär
und elitär liegt Mitte, auch ideologisch nicht der schlechteste
Ort, um älter zu werden und auf progressive Weise nostalgisch
zu sein. Denn das bedeutet der neue Club für viele: ein Weg
zurück in jene Party-Zukunft, die mit dem Cookies 1994 so
verheißungsvoll begann.
In einem Nebenraum, abseits der großen Tanzfläche,
dröhnte Paul Young aus den Boxen. Der Pop-Crooner aus den
Achtzigern schmachtete: "Come back and stay!" So weit,
so gut.
[spiegel online]